Astrid Kohrs
Als Kind war ich mehr Mensch als Mädchen -
ich hatte kurze glatte Haare, weder Busen noch Hüften, spielte Fußball genauso wie mit Puppen, war so gern Prinzessin wie Räuber, las später mit meinen Kumpels bei Kerzenschein Freud, die Bibel und Marx, war überall dabei und wurde nicht zum Engtanz aufgefordert.
Von den Kindern intellektueller Eltern hatte ich mir das Künstler-sein-wollen abgeguckt und versuchte es mit Gitarre spielen, malen und schreiben. Doch statt Pop klang es wie Punk und meine Kunstwerke waren nur Kopien.
Es waren schon einige dieser schwarzen Chinabücher mit roten Ecken gefüllt, als ich unerwartet eine Transformation erfuhr. Ein Freund hatte einen Onkel am Hamburger Thalia-Theater, wollte Schauspieler werden, schleppte unsere ganze Clique ins Theater und ich holte mir gleich beim ersten mal einen unheilbaren Virus.
Wir gründeten am nächsten Tag eine Theatergruppe, schrieben ein Stück und führten es auf. Entweder hat sich meine gesamte Pubertät in diese paar Wochen gequetscht oder der Virus war hormoneller Natur.
Mein Leben nach der Aufführung glich in keinster Weise meinem Leben vor der Aufführung. Mit einem Mal hatte ich Verehrer. Das fühlte sich toll an. Ich fühlte mich toll an. Das sollte nie mehr aufhören. Und man hörte mir zu - ich wusste ja (aus Büchern) was los ist mit der Welt und was man tun musste, um sie zu retten. Dieses umfassende erotische Prickeln war wunderbar zu verbinden mit ethischen Botschaften. Ich schwänzte Unterricht, um Workshops zu nehmen, ich jobbte als Garderobiere, um mehr Theater zu sehen, ich spielte auf der Straße meine Politpantomimen und war enttäuscht, dass man mich nicht fragte, wie ich das mit der Rakete meinte, sondern mich „süß“ fand. Um deutlicher zu werden, benutzte ich von nun an Worte.
Das wollte ich den ganzen Tag und die ganze Nacht machen. So wollte ich mich immer fühlen. Ich musste Schauspielerin werden. Ich bereitete mich auf die Prüfung vor und fand Pirandellos „Riesen vom Berge“. Ilse Paulsen. Was für eine Frau! Was für eine Schauspielerin! Ehrfürchtig besah ich mir so viel Hingabe. Dann bastelte ich aus 2 Männertexten einen Frauenmonolog und schrieb noch eine Szene selbst.
Ich fuhr zur letzten mündlichen Abi-Prüfung mit gepacktem Rucksack, stellte mich danach an die Autobahn und trampte über Paris nach Wien ans Reinhardt Seminar, wo ich ein paar Wochen später anfing, zu studieren.
Nach einem Jahr wechselte ich an die UdK nach Berlin, die mich auch in meiner Entwicklungslust unterstützte.
Nach dem Studium und nach meinem ersten Engagement am Schiller- und Schlosspark Theater (mein zweites Stück durfte ich an der Seite vom leider verstorbenen Walter Schmidinger auf dieser Bühne spielen!) lebte ich mit Männern und Menschen und fand nach Komödien, Tragödien, Krimis und Serien mein Lieblingsgenre: die Tragikomödie. Egal in welchem Medium.